Hier bekommt Ihr stellvetretend für die Emsland Rolli Mobility von Silke einen sehr seltenen tiefen, ehrlichen und vor allem emotionalen Einblick über Ihre Erfahrungen und Erlebnisse zum Thema „Ein Leben mit Multiple Sklerose„!
Ich bin Silke L., lebensfrohe, immer positiv denkende “Endvierzigerin” aus Dersum. “Mama”, 2-fach Oma und Ehefrau mit “kleinem Zoo”.
Die Diagnose MS bekam ich am 31.10.2000, wobei die MS schon wesentlich länger in mir schlummerte, mit dem Wissen von heute.
Ca. 1 Woche zuvor, dachte ich, ich hätte mir einfach “nur”, bei der Arbeit, einen Nerv eingeklemmt. Zu dem Zeitpunkt war ich, mit Herzblut, als Busfahrerin im ÖPNV unterwegs. Ich habe meinen Dienst an diesem Tag frühzeitig beendet, da ich eine sehr große Verantwortung für sehr viele Menschen, im Gelenkbus 160 Personen, hatte. Nach meiner Ablösung fuhr ich zu meiner Hausärztin -dann ging Alles sehr schnell…Eh ich mich versah lernte ich schon am selben Tag den ersten Neurologen meines Lebens kennen. Dieser machte wie meine Hausärztin auch, irgendwelche Tests hinter mir und dann sagte er nur, er hätte einen Verdacht. Er würde mir aber erst mehr sagen, wenn dieser durch eine Magnetresonanztomographie, kurz MRT, bestätigt werden würde. Ich war nie der ängstliche Typ, dachte zu diesem Zeitpunkt auch immer noch nicht “an etwas Schlimmes”. Das MRT fand dann auch sehr zeitnah im Krankenhaus statt. Der Radiologe hat mir zum ersten Mal in meinem 28-jährigen Leben, “Kopfkino” beschert; mit den Worten: “die gute Nachricht: sie haben keinen Hirntumor”, aber fahren sie mal zu ihrem Neurologen und schickte mich weg!
Mein “Neuro” eröffnete mir, dass sich sein Verdacht, laut MRT bestätigt hatte: ich hatte Multiple Sklerose (MS). Ich solle aber noch eine Liquor Untersuchung machen. Diese ergab dann den Nachweis, dass ich eine schubförmig remittierende MS habe. Darauf folgte dann meine erste Cortisonstoßtherapie mit je 1000mg Cortison über 5 Tage. Durch das Cortison war ich dann etwas angeschlagen, mir war schlecht, fühlte mich matt und mein Gesicht war aufgedunsen. Ich habe meinem Arzt am dritten Tag gesagt, dass ER mich jetzt krank gemacht hat. Nach der Therapie sind die Symptome alle wieder abgeklungen und ich konnte ganz normal weitermachen; Arbeiten, mit dem Hund laufen, Reiten, Schwimmen, Tanzen, in den Urlaub fliegen, Kochen…alles wie vorher. Das sollte sich, gute 12 Jahre später, nach der Diagnosestellung ändern. Ganz am Anfang wusste ich noch gar nichts über diese Krankheit.Ich hatte keine Ahnung was das hieß, ich hatte keine schweren Symptome, mir ging es gut, bis auf diese merkwürdigen “Ameisen und das Kribbeln” in meinem rechten Bein…Die MS “besuchte” mich danach 1-3x im Jahr. Sie “stellte” sich mir mit verschiedenen Symptomen vor.
Der 2. Schub war eine Sehnerventzündung, ich wurde wach und sah auf einem Auge verschleiert, wie durch eine dreckige Gardine. Das nächste Mal kam es zu Sprech-/ Sprach-und Wortfindungsstörungen -morgens! Das war die Hölle, ich hatte meinenSohn zur Schule gebracht und ging im Anschluss mit unserem Hund spazieren. Eine Nachbarin, die mich kannte, kam mir entgegen und wir unterhielten uns. Dabei bemerkte ich, dass ich nicht einen Satz “unfallfrei” sprechen konnte, entschuldigte mich für meineschwammige, undeutliche Aussprache und lief weiter. Selbst war ich sehr verwundert und ärgerte mich, dass ich dieses “Kauderwelsch” nicht kontrollieren oder steuern konnte. Tage später sollte ich richtig frustriert sein, da wurde rumerzählt, dass ich frühmorgens schon völlig betrunken gewesen sei. Ich finde es hinterhältig, feige und respektlos unwahre Gerüchte hinter dem Rücken der betroffenen Person in die Welt zu setzen.-3-Zu diesem Zeitpunkt machte ich mir noch keine großartigen Gedanken und Sorgen was mich noch erwarten könnte, mir ging es ja spätestens nach meinen Cortisonstoßtherapien wieder wesentlich besser. Sensibilitätsstörungen verschwanden auch wieder. Also beschloss ich für mich: nicht ICH muss mit der MS leben, sondern die MS muss lernen, mit MIR und meinem aktiven und verrückten, etwas chaotischen Leben zu leben.
Durch die ganzen Klinkaufenthalte und Medikamentenanpassungen musste ich schweren Herzens meinen heiß geliebten Arbeitspatz aufgeben. Der Arbeitswelt blieb ich aber erhalten. Selbst nach drei harten Schicksalsschlägen, konnte die MS mir nichts anhaben. Da lief ich aber zwischendurch schon mit einem Gehstock.
Seit 2007 kam eine neurogene Harnblasenfunktionsstörung hinzu. Diese schränkte und störte mich dann schon in meinem Alltag und meinen Aktivitäten ein. Anfangs konnte ich diese noch mit Tabletten in Schach halten. Als es immer schlimmer wurde, und ich das Symptom der Harndranginkontinenz gar nicht mehr kontrollieren konnte, war das ständige Einnässen nur noch unangenehm und extrem peinlich! Meinen Tag überstand ich nur noch mit Vorlagen und noch später nur noch mit Pants. Da fühlte ich mich “Safe”. Mit dieser Situation wollte ich so nicht leben. Daher entschloss ich mich, nach einer sehr guten Aufklärung im Marienhospitalin Herne, in der Neuro-Urologie von Dr. Ophoven, zu einer Injektion von Botulinumtoxin A. Diesen Schritt habe ich nie bereut! Das Botox hilft mir sehr gut.
Bis Anfang 2012 lief alles “Normal” für mich, 1-max.2 Schübe im Jahr, die Symptome bildeten sich immer wieder ganz zurück der Gehstock gab mir die nötige Sicherheit. Das sollte sich zum Jahreswechsel 2012/2013 ändern. In der Silvesternacht, lief ich mit einem Rollator mit nach draußen, das war ungewöhnlich anstrengend, und ich setzte mich kurz. Als ichwieder aufgestanden bin konnte ich nicht einen Schritt vor den anderen setzen. Mein rechtes Bein wollte mir gar nicht mehr gehorchen! Irgendwie sind wir doch ins Haus gekommen -wie weiß ich nicht mehr. 2013 begann dann als erstes mit einem Besuch bei meinem Neurologen. Da gab es dann erst einmal Cortison, danach konnte ich wieder laufen. Von einem Rollstuhl wollte ich zu diesem Zeitpunkt nichts wissen, ich konnte schließlich wieder am Stock und am Rollator laufen. 2013 verlief dann soweit ganz gut. Nach dem Willen meiner Ärzte, der Krankenkasse (KK) und der Rentenversicherung sollte ich “auf Rente”. Das KONNTE und WOLLTE ich mir nicht vorstellen! Deswegen sollte ich noch einmal in eine Reha. Der Arzt beschloss dort, dass dies eine sehr gute Idee wäre. Da ich sehr liebe Menschen, die mich sehr lieben um mich habe, die immer zu mir stehen und zu mir halten, habe ich Ihnen zugehört, als sie mich gebeten haben, zu Hause zu bleiben. Allen voran mein lieber Mann. Seit 2014 bin ich Rentner! Ich wollte das alles nicht wahrhaben, aber ohne Stress und Zeitdruck merkte ich, dass dies eine sehr schwere aber auch gute Entscheidung war. Ich hatte wahrscheinlich Angst, nicht mehr gebraucht zu werden.
2015 wurde aus meiner schubförmigen remittierenden MS dann die sekundär progrediente mit aufgesetzten Schüben. Wobei ich die Schübe nicht mehr wahrnehme, wohl die stetigen Verschlechterungen und Medikamentenunverträglichkeiten. 2015 bekam ich auch meinen Rollstuhl, obwohl ich noch wenig laufen konnte. Ich lernte dieses Hilfsmittel kennen: jetzt LIEBE ich ihn. Damit bin ich wieder wesentlich beweglicher, mein Aktionsradius ist wieder viel größer geworden. Jetzt schleiche ich nicht mehr hinter Fußgängern her, jetzt ”laufe” ich vor. Meine Rollstühle sind meine Freunde, da sie mir ein Stück weit meine Freiheiten und Selbstständigkeit wiedergeben. In meinem mechanischen Stehrollstuhl kann ich endlich wieder im Stehen kochen und in meine Töpfe gucken! Den habe ich von meinem Mann geschenkt bekommen! Ich bin meistens zu Ungeduldig, bzw. die KK zu langsam. Vor allem waren wir das “schon wieder kämpfen” Leid.
Leider begann dann auch bald eine (Streck-) Spastik in den Beinen, ebenso unerklärliche Schmerzen. Stehen fällt mir sehr schwer, aber da lege ich sehr viel Wert drauf und versuchetäglich zu trainieren, indem ich mich selbständig hinstelle. Laufen klappt leider gar nicht mehr, aber die Hoffnung stirbt zuletzt! Seit 2019 ist meine MS wieder mal im “Wartemodus”. Keine erkennbaren Schübe, nur weiter leichte Verschlechterungen. Im März 2020 neues Medikament erhalten, nicht vertragen, Beinödeme bekommen-halten bis heute an. Zuvor noch einen inkompletten Querschnitt bescheinigt bekommen. Seit 2021, wieder neues Medikament, scheine ich zu vertragen, bis jetzt keine Nebenwirkung und keine weiteren Verschlechterungen, aber auch keine Besserung.
Die meisten meiner liebsten Hobbies kann ich nicht mehr machen, aber ich freue mich an guten Tagen z.B. Handbike zu fahren, spazieren mit den Hunden (am Wochenende mit meinem Mann und Hunden), ich freuemich “über mein Oma da sein”. Ich suche immer auch neue Herausforderungen, z.b. Klettern mit Rollstuhl, mit Pferden aus dem Rollstuhl arbeiten -klappt hervorragend! Eigentlich alle Dinge wo die meisten Menschen mir sagen “das geht NIE oder du SPINNST”. Dann erst recht!
Natürlich habe ich auch mal schlechte Tage/Wochen/Monate, aber meine absoluten Lieblingsmenschen, mein Mann, mein Sohn mit Familie, meine Mutter, enge Freunde und meine Tiere geben mir die Kraft und den Halt damit ich dann “auch schon wieder, zum X. Mal” von vorne anfange. Sie sind immer für mich da, mit ihrer Liebe zu mir, ihrer tatkräftigen mentalen, geistigen und körperlichen Unterstützung (z.B. den Rolli mit mir darin eine Treppe hochtragen), Hilfe in welcher Form auch immer, dafür bin ich sehr dankbar. Diese Krankheit geht an keinem der Beteiligten spurlos vorbei. Meinen “inneren Schweinehund” habe ich mir behalten und meinen hohen Anspruch an mich selbst auch. Ich versuche außerhalb der Physiotherapie auch noch Sport zu treiben. Ich musste Lernen mein Leben neu/anders zu leben. Ich kann nicht mehr alles und auch nicht so schnell, aber das was ich noch kann lasse ich mir nicht nehmen, auch wenn es jetzt länger dauert oder langsamer geht. Ich musste lernen ein Stück meiner Selbstständigkeit abzugeben, indem ich um Hilfe bitte – das war für mich der schlimmste Schritt!
Die MS raubt mir in kleinen und größeren Schritten meine gute Lebenszeit. Doch ich biete diesem Raub meine Stirn, indem ich mir immer neues einfallen lasse, damit ich MEIN Leben lebenswert und schön finde.
Liebe Grüße Silke L.